Supermärkte, Fahrräder und Lieferdienste

15.07.2021 - Seit der Gründung von Gorillas in Berlin vor eineinhalb Jahren ist viel passiert.

Es wurden insgesamt 335 Mio. Euro Risikokapital eingesammelt und das Unternehmen beschäftigt inzwischen über 1.600 Menschen. Das Unternehmen verspricht den Lebensmitteleinkauf in Deutschland auf eine Weise zu beschleunigen, wie es wahrscheinlich das letzte Mal durch die Einführung der Selbstbedienung der Fall war. Für den Immobilienmarkt ist das nicht uninteressant: Gorillas und konkurrierende oder vergleichbare Unternehmen schließen momentan einen Mietvertrag nach dem anderen ab.

Gorillas funktioniert über das Smartphone. Der Kunde nutzt eine App, um seinen Einkauf zusammenzustellen und zu bezahlen. Zuzüglich kommt noch eine Liefergebühr in Höhe von 1,80 Euro. Dafür verspricht das Unternehmen per Fahrradkurier binnen zehn Minuten die bestellte Ware an die Wohnungstür zu liefern. Die Belieferung wird aus sog. Mikro-Fulfillment-Centern organisiert. Das sind häufig ehemalige Läden oder zu klein gewordene Super- oder Drogeriemärkte in Neben oder Neben- Neben-Lagen, die innerstädtisch gelegen sind.

Vor Gorillas lieferten Onlinesupermärkte vielleicht am nächsten oder übernächsten Tag. Während der Pandemie war die Nachfrage so stark gestiegen, dass häufig sogar mehrere Tage Wartezeit nötig wurden. In Deutschland hielt bisher Amazon den Auslieferrekord. Innerhalb von ein bis zwei Stunden konnte in Berlin und München noch am selben Tag der Bestellung ausgeliefert werden. Gorillas bietet seine außerordentlich schnelle Lieferung momentan in 21 deutschen Innenstädten an. Bei dem bisherigen Expansionstempo kann diese Zahl jedoch bald schon veraltet sein.

Der Marktführer in Deutschland für Online-Supermärkte ist der Onlineshop Rewe.de. Er wurde bereits 2014 gegründet und operiert in 65 Städten. Ein Umsatz von 154 Mio. Euro konnte 2019 umgesetzt werden. Das sind ungefähr die Einnahmen, die mit 20 bis 30 großen Supermärkten vergleichbar sind. Dafür beschäftigt Rewe Digital 600 Mitarbeiter, bespielt mehrere Logistikzentren und schaffte zusätzlich eine riesige Flotte an Lieferfahrzeugen an.

Trotz der Bemühungen von Rewe konnte es noch niemand, weder Rewe selbst, noch Amazon, Aldi, Lidl, oder zahlreiche bereits gescheiterte Start-ups, schaffen, dass Online-Supermärkten in Deutschland der Durchbruch gelingt. Warum sollte es also Gorillas gelingen? Eine wichtige Beobachtung ist, dass viele Lebensmittel kurzfristig eingekauft werden. Die bisherigen Online-Modelle waren jedoch nicht in der Lage diese Kurzfristigkeit abzubilden. Der Knackpunkt könnte also im 10 Minuten-Versprechen Gorillas liegen.

Ende 2020 gründete sich Flink als ein zweites vielversprechendes Start-up durch die Übernahme des Hamburger Lieferdienstes Pickery durch Oliver Merkel, Julian Dames und Christopher Cordes. Alle drei sind bereits in der deutschen Start-up-Szene etabliert. Merkel war bei Bain & Company als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Einzelhandel tätig, Dames war Mitgründer des Lieferdienstes Foodora und Cordes Vorstand beim Möbelversender Home 24.

Flink scheint noch energischer zu wachsen als Gorillas. Obwohl das Unternehmen erst acht Monate besteht, ist es bereits in 28 deutschen Städten vertreten. Das sind immerhin schon sieben mehr als Gorillas. Rewe hat sich mittlerweile an Flink beteiligt und übernimmt exklusiv die Belieferung. Vor allem in Nordrhein-Westfalen und dem Rhein-Main-Gebiet ist das Vertriebsnetz dichter. Fairerweise muss man jedoch in diesem Zusammenhang erwähnen, dass Gorillas zusätzlich die internationale Expansion stark im Blick hat. Es kam bereits zum Markteintritt in Großbritannien, Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Spanien. Dafür wurde eine Zusammenarbeit mit Havi Logistics vereinbart, einem Logistikdienstleister, der unter anderem McDonald's beliefert.

Flink und Gorillas sind jedoch nicht die einzigen. Immer schwieriger wird es bei den ständig auftauchenden Lieferdiensten den Überblick zu bewahren. Letztens hat beispielsweise erst der türkische Konkurrent Getir in Berlin seine erste deutsche Dependance eröffnet. Gerade in Berlin hat der Kunde mittlerweile ordentlich Auswahl: Foodpanda kommt neu dazu, so auch wahrscheinlich bald Oda aus Norwegen und dann kommen da noch die bereits etablierten wie Food.de, Bring, Bringmeister und auch Amazon. Es ist schwer zu sagen, wie viele den Startsprint überleben werden. Zwar ist es möglich, dass sich mehr als ein Lieferdienst dauerhaft etablieren kann, ob es dann aber gleich sechs oder sieben parallel werden, ist eher unwahrscheinlich. Neben den Schnell-Lieferdiensten bauen sich jedoch auch Versender mit etwas längeren Lieferzeiten mächtig auf. So möchte Knuspr aus Tschechien im August seine Premiere in Deutschland in München feiern und auch der holländische Konkurrent Picnic, der mit Edeka kooperiert, möchte sich weiter ausdehnen.

Robert Zores, CTO von Rewe Digital, geht davon aus, dass Lieferdienste den Supermarkteinkauf in Großstädten verändern werden: "Ich glaube, dass sich im Lebensmittelhandel gerade eine kleine Revolution vollzieht", äußerte er sich bei K5 Klub, einer Streaming-Plattform für den Onlinehandel. Mit der Corona-Krise hat sich die Notwendigkeit ergeben, Waren schnell an den Kunden zu liefern. Flink und Gorillas sind Dienste, die aus diesem Bedürfnis heraus entstanden sind. Björn Dröschel von Fulfillmenttools glaubt: "Eine schnellere Belieferung ist das, was die Kunden verlangen. Das ist aber nur möglich, wenn sich die Anbieter neu aufstellen und Auslieferungsstationen bauen, die nah am Kunden sind."

Die Flächenanforderungen der neuen Schnell-Lieferdienste unterscheiden sich enorm von denen des bisherigen Online-Supermarkts. Rewe Digital nutzt beispielsweise Kleinlaster, die in der Regel aus großen Fulfillment-Centern am Stadtrand losfahren. Dagegen setzt Gorillas und Konsorten auf ein Netz von Liefergebieten in Innenstädten und versucht diese miteinander zu verknüpfen. Diese kleinen Niederlassungen werden dann aus Lagern am Stadtrand versorgt.

Wegen dieser logistischen Logik müssen die neuen Lieferdienste nicht außerordentlich wählerisch sein. Manche Dinge sind jedoch entscheidend: Ebenerdigkeit, ein breiter Bürgersteig, auf dem E-Bikes und ERoller abgestellt werden können und Deckentraglasten, wie sie im Lebensmitteleinzelhandel üblich sind". Außerdem werden Lagen an großen Parks oder Flüssen gemieden, da  dadurch die Reichweite verringert wird. Die Mikro-Fulfillment-Center messen in der Regel zwischen 500 m² und 800 m². Bei 15 Euro/m² ist jedoch Schluss. Präferierte Mietvertragslaufzeiten bewegen sich zwischen drei und fünf Jahren. Häufig ist das sogar im Interesse der Eigentümer, die sich vertraglich nicht zu lange binden wollen, da sie davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren die Mieten für innerstädtische Einzelhandelsflächen wieder anziehen werden.

Die aktuelle Praxis, ausrangierte Läden zu mieten, könnte sich jedoch nur als Übergangslösung erweisen. Es ist beispielsweise vorstellbar, dass sich verschiedene Online Dienste (z.B. eine Online- Apotheke, ein Schnell-Lieferdienst und eine Ghostkitchen) zusammentun und eine für sie maßgeschneiderte Immobilie teilen. Solche Ideen reflektiert zumindest Sven Schürer, Director Business Development Logistics bei JLL.