Kleiner Lidl in Quartierslage

01.04.2019 - Die gewöhnliche Lidl-Filiale umfasst 1.400 Quadratmeter.

Im Vergleich dazu ist die neue Mini-Filiale am Isartor in München ein kleiner Schuhkarton mit ihren gerade einmal 503 Quadratmetern. Es gibt zwei verschiedene Deckenhöhen, Verwinklungen, drei Zwischenwände und insgesamt 15 Säulen, die das 115 Jahre alte Gebäude stabilisieren sollen. Die Verkleinerung des Sortiments wird auf 20 Prozent geschätzt. Ist das alles wirklich den Aufwand wert?

Sebastian Theiling, Geschäftsführer der Lidl-Regionalgesellschaft Anzing, die 88 Filialen betreut, darunter die im Norden von München, meint schon. Die Bevölkerung in den Städten wächst, was mit potentiellen Kunden einhergeht, die für ihren Einkauf nicht bereit sind weite Wege auf sich zu nehmen. Deswegen zieht es nun auch Lidl, ähnlich wie bereits die Konkurrenz von Aldi, Penny, Netto, Rewe und Edeka mit kleinen Flächen in die Quartierslage. Durch den Zuzug in die Großstädte werden die Flächen immer knapper. Wenn man die neuen Kunden ansprechen möchte, ist Anpassung gefragt. Es ist kompliziert, da zwischen den Ansprüchen von Kommunalpolitikern, Stadtplanern, Immobilienentwicklern und Vermietern vermittelt werden muss. Theiling meint, dass auch wenn es klar ist, dass Lidl immer zuerst seinen Standard durchsetzen möchte, es immer häufiger darum geht sich flexibel an die Möglichkeiten des Standorts anzupassen.

Während bereits 41 Lidl-Märkte in München betrieben werden, identifizieren die Macher Potential für 30 weitere. Bereits im laufenden Jahr sollen vier davon entstehen. Immer seltener werden dazu neue freistehende Gebäude für den Markt gebaut, stattdessen wird der Einzug in bestehende Mietobjekte häufiger. Die nächste Kleinfiliale wird bereits am 11. April in einem Mietshaus in der Leopoldstraße nahe dem Englischen Garten eröffnet. Wieder werden es rund 500 Quadratmeter Fläche sein, die es optimal zu nutzen gilt.

Damit das Ganze Konzept des Mini-Discounter funktionieren kann, ist es notwendig einige Änderungen im Vergleich zum konventionellen Lidl vorzunehmen. Dazu zählt zum Beispiel, dass in fast jedem Regal ein zusätzlicher Boden eingesetzt wird. Somit liegt der Standard bei vier Ebenen. Bei Artikeln wie Brotaufstrichen oder Kosmetika können es auch fünf sein. Die Gänge sind deutlich enger als gewöhnlich, und wenn eine Säule im Weg steht, kommen sie gerade einmal auf einen Meter Breite. Statt Einkaufswagen kommen deswegen schmale Trolleys und Tragekörbe zum Einsatz. Die Tiefkühlwaren werden in hohen Möbeln statt in raumgreifenden Truhen angeboten. Auch die Nonfood-Aktionswaren landen im Regal und nicht wie gewöhnlich in Schütten. Größere Aktionsartikel werden gar nicht erst ausgestellt. Der Kunde soll sie online bestellen, dafür kann er sich an der Kasse einen Gutschein in Höhe der Versandkosten ausstellen lassen.

Die Abfolge der Warengruppen wurde ebenfalls angepasst. Zwar wurde darauf geachtet sie nicht zu sehr zu ändern, damit die Kunden ihre Grundorientierung behalten. Zum Beispiel wurde das Obst und Gemüse nach hinten verlegt, damit diese Warengruppe nicht auseinandergerissen wird. Trotz all dieser Bemühungen war es nicht möglich das komplette Sortiment abzubilden, das insgesamt 3.500 Artikel umfasst. Es ist um schätzungsweise 20 Prozent gekürzt. Auslistungen kommen jedoch nur bei Artikeln in Frage, für die es eine klare Alternative gibt. Die Abstriche sollen so wenig wie möglich auf Kosten der Vielfalt gehen.

Das zeigt sich zum Beispiel beim Toilettenpapier, wo nur drei statt vier Sorten angeboten werden. Bei der Vollmilchschokolade sind es nun vier statt fünf Sorten. Auch bekannte Marken sind nicht vor einer Auslistung sicher. Beim Kaffe wird zwar Jacobs, Melitta und Nescafé geführt, Eduscho und Dallmayr aber nicht mehr. Die Frische wird jedoch nicht beschnitten: Obst und Gemüse, Kühlfleisch und -geflügel und die Backstationen bieten das komplette Angebot.

Bei der Innenstadtlage sind keine großen Bons zu erwarten, Branchenkenner gehen von einem Durchschnitt von ca. 10 Euro aus. Der Umsatz soll vor allem durch die hohe Frequenz gefördert werden. Täglich passieren etwa 20.000 Menschen den Standort, der gleich gegenüber einer S-, U- und Straßenbahnstation liegt. Außerdem gibt es neben kaufkräftigen Kunden aus dem Wohnviertel auch zahlreiche Arbeitgeber in der unmittelbaren Umgebung, wie das europäische Patentamt. Höhere Preise wegen der hochfrequenten Lage bleiben jedoch ausgeschlossen. Lidl möchte seinem Preis treu bleiben.

Da München nicht die einzige Stadt ist, in der es immer schwieriger wird, Einzelhandelsflächen zu finden, unterhält Lidl mittlerweile in sechs Großstädten eigene Immobilienbüros. Neben München befinden sich diese noch in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Köln. Dort wird die Realisierung neuer Filialen geplant, die mit Wohnungen, Büros oder Hotels kombiniert werden. Zum Beispiel entstehen gerade über der neuen Filiale im Frankfurter Gallusviertel 110 Wohnungen. Ein ähnliches Projekt plant Lidl bereits in der Münchner Verdistraße, das in vier Jahren fertig sein soll.